Angestellte Zahnärztinnen, die ihr Kind nach der Geburt stillen, dürfen auch nach Inkrafttreten des neuen Mutterschutzgesetzes (MuSchG) zum 01.01.2018 nicht an ihrem Arbeitsplatz beschäftigt werden, wenn dies eine Gefährdung für die Gesundheit von Mutter und/oder das gestillte Kind darstellt (§ 12 MuSchG) und eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder ein Arbeitsplatzwechsel in zumutbarer Weise nicht möglich ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG). Arbeitgeber müssen gegenüber ihrer stillenden Mitarbeiterin in diesem Fall ein Beschäftigungsverbot aussprechen, wenn diese nach Ablauf der Mutterschutzfrist ihre zahnärztliche Tätigkeit wieder aufnehmen will.
Folge: Die Mutter hat gegenüber ihrem Arbeitgeber Anspruch auf Mutterschutzlohn in Höhe des Durchschnittsgehalts der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor Eintritt der Schwangerschaft, gemäß § 18 MuSchG. Der Arbeitgeber seinerseits hat in vollem Umfang einen Anspruch auf Erstattung der ihm entstehenden Mutterschutzlohnkosten gegenüber der Krankenkasse der Mitarbeiterin, § 1 Abs. 2 Nr. 2 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG).
Soweit – so klar. Wo liegt das Problem? Nun: Die individuelle Stillzeit ist nicht planbar. Aus ernährungsphysiologischer und immunologischer Sicht ist Stillen bekanntlich durchweg zu empfehlen, und die meisten Mütter können auch stillen (und wollen das auch, so lange, wie das Kind es braucht und verlangt). Während der Zeit der Beikosteinführung werden die Kinder weiter gestillt, oftmals noch morgens, abends und während der Nacht. Wichtig zu wissen: Es macht nach dem MuSchG keinen Unterschied, ob das Kind wahrhaftig an der Brust trinkt oder die abgepumpte Muttermilch mit der Flasche angeboten wird. Einzig und allein relevant ist die Tatsache, dass das Kind (zumindest noch teilweise) mit Muttermilch ernährt wird.
Die Unplanbarkeit des Stillens und damit insbesondere die fehlende Vorhersagbarkeit des Endes der Stillphase führt zu einem Dilemma für die Zahnarztpraxen: Aufgrund der geltenden Mutterschutzregelungen hat die angestellte Zahnärztin während des Beschäftigungsverbotes, wie zuvor gesagt, einen Anspruch auf Zahlung von Mutterschutzlohn und der Arbeitgeber auf die Erstattung dieser Kosten durch die Krankenkassen im Rahmen des U2-Umlageverfahrens. Wie sich zeigt, positionieren sich einige Krankenkassen hier restriktiv: Sie leisten die nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 AAG zu erstattenden Kosten nur für die ersten 12 Lebensmonate. Ab dem 1. Tag im 13. Lebensmonat soll also laut Krankenkassen Schluss sein mit dem Stillen, unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten, d.h. selbst wenn die Zahnärztin ihr Kind zumindest teilweise noch stillt. Für Arbeitgeber bedeutet das: In einem solchen Fall bleiben sie auf den Mutterschutzlohnkosten alleine sitzen. Sie dürfen die Mitarbeiterin per Gesetz nicht beschäftigen, müssen ihr den Mutterschutzlohn bezahlen – bekommen ihn aber nicht mehr erstattet.
Die Argumentation der Krankenkassen (aber auch Mitteilungen von Arbeitsschutzämtern und selbst Informationen aus dem Bundesfamilienministerium lesen sich in diese Richtung): Aufgrund der Regelung in § 7 MuSchG, der hier meist zitiert wird, ist in Anlehnung an die angeblich gängige Rechtsprechung die Stillzeit auf die ersten 12 Monate nach der Entbindung beschränkt.
ACHTUNG: DIES STIMMT NICHT!
Das regelt § 7 MuSchG in Bezug auf die Stillzeit wirklich!
„§ 7 Freistellung für Untersuchungen und zum Stillen
§ 7 MuSchG regelt demnach sowohl die Freistellung von der Arbeitszeit für erforderliche Untersuchungen während Schwangerschaft und Stillzeit als auch insbesondere den Umgang mit Stillpausen während der Arbeitszeit. Konkret geht es hier also nur darum, dass solche Fehlzeiten für Untersuchungen oder zum Stillen während der Arbeitszeit eingeräumt werden müssen, ohne dass dies von der Arbeitszeit und somit auch vom Arbeitslohn in Abzug gebracht werden darf.
Es ist hier allerdings keine Rede davon, dass die Stillzeit per se auf die ersten 12 Lebensmonate begrenzt ist. Ganz im Gegenteil: Nur die Einräumung von Stillpausen während der Arbeitszeit ist mit § 7 MuSchG geregelt und nunmehr ausdrücklich auf die ersten 12 Lebensmonate beschränkt worden. Es geht in diesem immer wieder als angeblichen Beleg für die Beschränkung der Stillphase auf 12 Monate herangezogenen § 7 MuSchG eindeutig um „Freistellung“ während der Arbeitszeit – nicht um ein Beschäftigungsverbot, bei dem es weder Arbeitszeit noch Arbeitsplatz gibt. Zudem heißt es dort „auf Wunsch der Frau“: Bei einem Beschäftigungsverbot geht es nicht um die Wünsche der Frau, sie darf nicht arbeiten, selbst wenn sie es wollte. Auch dieser Aspekt des § 7 MuSchG trifft auf das Beschäftigungsverbot also nicht zu.
Die Begrenzung der Stillzeit auf 12 Monate, wie in § 7 MuSchG formuliert, geht eben von Freistellung von der Arbeit aus: Nach einem Jahr wird das Kind vielleicht nur noch morgens und abends gestillt. Das lässt sich dann mit einem normalen Arbeitsplatz gut vereinbaren, Stillpausen am Arbeitsplatz sind in der Regel nicht mehr notwendig. Bei einem Beschäftigungsverbot liegen aber am Arbeitsplatz Gefährdungsrisiken vor, die eine Beschäftigung der werdenden oder stillenden Mutter verbieten. Stillt sie länger als ein Jahr, und sei es nur morgens oder abends, ändert sich daran nichts. Das Mutterschutzgesetz dient dem Gesundheitsschutz von Mutter und Kind – und der ist nicht limitiert, wie beispielsweise der „Leitfaden zum Mutterschutz“, am 12.01.2018 veröffentlicht durch das BMFSFJ, zeigt. Dort heißt es:
„Wichtiger Hinweis
Der Anspruch auf Freistellung während der Stillzeit ist auf 12 Monate nach der Geburt des Kindes begrenzt. Diese zeitliche Regelung gilt nicht für den Gesundheitsschutz. Ihr Arbeitgeber muss über die gesamte Stillzeit sicherstellen, dass Gesundheitsgefährdungen für Sie und Ihr Kind ausgeschlossen sind.“
Jede stillende Mutter weiß: Bis letztlich alle Stillmahlzeiten über den Tag verteilt (Frühstück – Zwischenmahlzeit – Mittag – Zwischenmahlzeit – Abendessen) vollständig oder weitgehend durch feste Nahrung ersetzt sind, kann es je nach Kind durchaus mehrere Monate dauern. Ein Zeitraum zwischen dem 5. und 12. Lebensmonat kann als realistisch betrachtet werden.
Das bedeutet allerdings nicht, dass mit dem 12. Lebensmonat das Stillthema gänzlich abgehakt ist. Oftmals stillen Mütter ihre Kinder auch über den 12. Lebensmonat hinaus noch nachts, ggf. auch sogar noch abends vor dem Einschlafen oder morgens direkt nach dem Aufwachen. Dies liegt nicht daran, dass alle Mütter ausnahmslos das Stillen möglichst lange hinziehen wollen. Vielmehr liegt es daran, dass ihre Kinder noch dieses Stillbedürfnis haben.
Es ist jedenfalls von der Natur aus nicht vorgesehen, dass mit Beginn des 13. Lebensmonats Kinder gar nicht mehr gestillt werden. Und das sieht auch der Gesetzgeber so: Er hat die höchste zulässige Stillzeit keineswegs generell auf die ersten 12 Monate nach der Entbindung begrenzt. Die dahingehende Interpretation wäre geradezu anmaßend. Sie lässt sich auch der Gesetzesbegründung nicht entnehmen.
Eine solche Auslegung würde auch gegen die Empfehlungen der Nationalen Stillkommission (Bundesinstitut für Risikobewertung) verstoßen, die eine beratende Aufgabe gegenüber dem Gesetzgeber hat. Hier heißt es in der Broschüre „Stillen und Berufstätigkeit“:
„Für berufstätige Mütter sollte das Stillen kein Hindernis sein, ihrem Beruf nachzugehen. Umgekehrt sollte die Rückkehr in den Beruf kein Grund sein, vorzeitig abzustillen.“
Denn § 7 MuSchG hat einzig und allein den Fall vor Augen, dass in der Regel ab dem 12. Lebensmonat tagsüber – während der üblichen Arbeitszeiten – kein Bedürfnis mehr dafür besteht, von Seiten des Arbeitgebers Stillpausen einzuräumen. Insofern wird der Arbeitgeber nach dem 12. Lebensmonat auch nicht mehr per Gesetz verpflichtet, entsprechende Stillpausen für seine stillende Mitarbeiterin während der Arbeitszeit einräumen zu müssen.
Es mag große Strukturen im Bereich der Zahnarztpraxen geben, in denen eine schwangere oder stillende Zahnärztin – gemäß den Intentionen des Gesetzes – weiterbeschäftigt werden kann, indem ihr ein alternativer Arbeitsplatz zugewiesen wird mit dem Recht auf bezahlte Freistellung für Stillpausen: Dieser müsste einerseits den mutterschutzrechtlichen Bestimmungen genügen und andererseits angemessen sein – eine Benachteiligung einer werdenden bzw. stillenden Mutter ist laut MuSchG untersagt. Für diese Fälle mag § 7 MuSchG eine Richtlinie sein.
In aller Regel aber wird einer schwangeren/stillenden Zahnärztin an ihrem Arbeitsplatz Zahnarztpraxis aufgrund der Risiken ein Beschäftigungsverbot erteilt werden – auch für die Phase der Stillens. Selbst wenn die Kinder über Tag ohne Muttermilch ernährt werden, ist das nicht mit einem kompletten Wegfall der Stillzeit nach dem 12. Lebensmonat gleichzusetzen. Morgens, abends und vor allem nachts werden Kinder aufgrund ihres individuellen, natürlichen Stillbedürfnisses regelmäßig auch über den 12. Lebensmonat hinaus weitergestillt. Und so lange eine angestellte Zahnärztin – wenn auch nur noch nachts – ihr Kind weiterhin stillt, darf sie gemäß § 12, 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG auch weiterhin nicht beschäftigt werden. Es gilt das Beschäftigungsverbot wie in den Monaten zuvor auch. Erst mit dem ersten Tag, an dem die Mutter ihr Kind nicht mehr stillt, fällt das Beschäftigungsverbot weg, mit der Konsequenz, dass die Mutter ihre Tätigkeit ab diesem Zeitpunkt wieder aufnehmen muss.
Das Dilemma zwischen individueller Stillzeit auf Seiten der angestellten Zahnärztin einerseits und fehlender Planbarkeit auf Seiten ihres Arbeitgebers andererseits löst sich nicht dadurch auf, dass Krankenkassen sich entgegen der eindeutigen Gesetzeslage der Erstattung des Mutterschutzlohnes (U2-Umlage) nach 12 Monaten verweigern mit Hinweis auf eine angebliche Begrenzung der Stillphase im neuen MuSchG. Auch wenn der Gesetzgeber den Fall stillender, angestellter Zahnärztinnen im Beschäftigungsverbot offensichtlich nicht im Blick hatte, ist es nicht gerechtfertigt, Stillzeiten, die damit verbundenen Beschäftigungsverbote sowie Erstattungstatbestände auf Grundlage von § 7 MuSchG zu begrenzen, denn dies gibt die Regelung nicht her.
Auch der Rechtsprechung lässt sich keine Begrenzung der Stilldauer entnehmen!
Sofern Krankenkassen oder auch Arbeitsschutzbehörden auf ältere Gerichtsentscheidungen verweisen, aus denen angeblich die Begrenzung der Stillzeit hervorgeht, wird verkannt, dass die Argumentation der Gerichte sich lediglich um Ansprüche auf bezahlte Stillpausen während der Arbeitszeit drehte. D.h. eine Mutter stillt ihr Kind, geht gleichwohl ihrer Arbeit nach, braucht aber über den Tag verteilt Möglichkeiten, ihr Kind zu stillen. Es handelt sich hier um eine Freistellung am Arbeitsplatz.
Bei Zahnärztinnen ist die Situation bekanntlich in der Regel eine andere, weil die Zahnärztin während der Stillzeit gar nicht beschäftigt werden darf. Es geht hier also nicht um die Einräumung von (mit üblichem Arbeitsentgelt) bezahlten Stillpausen während der Arbeitszeit (so § 7 MuSchG), sondern um die Zahlung von Mutterschutzlohn aufgrund eines Beschäftigungsverbotes (§ 18 MuSchG, § 1 Abs. 2 Nr. 2 AAG).
Fazit:
Entgegen der offensichtlich von Krankenkassen und anderen Organisationen, auch manchen Arbeitgebern verbreiteten Annahme ist im MuSchG die Stillzeit als solche nicht gesetzlich auf die ersten 12. Lebensmonate des Kindes beschränkt. Lediglich die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einräumung von Stillpausen während der Arbeitszeit (Freistellung) ist auf die ersten 12 Monate nach der Entbindung beschränkt.
Liegen allerdings aus berufsspezifischen Gründen – wie in der Regel bei Zahnärztinnen – die Voraussetzungen für ein Beschäftigungsverbot auch über den 12. Lebensmonat hinaus weiter vor, darf der Arbeitgeber die Mutter per Gesetz nicht beschäftigen, die Mutter hat Anspruch auf Mutterschutzlohn gegenüber dem Arbeitgeber (§ 18 MuSchG), der Arbeitgeber hat wiederum einen 100%igen Erstattungsanspruch gegenüber der Krankenkasse (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AAG, U2-Umlageverfahren).
Sollten sich Krankenkassen hier gleichwohl quer stellen und die Erstattung über den 12. Lebensmonat hinaus ablehnen, und sollte es keine Änderung oder berufsgruppenspezifisch angepasste Empfehlung seitens des Gesetzgebers geben, müssten Arbeitgeber dagegen rechtlich vorgehen, um ihre Ansprüche notfalls gerichtlich durchzusetzen.
Möchte man solche rechtlichen Auseinandersetzungen vermeiden, hilft – bis auf Weiteres – nur eine offene und ehrliche Kommunikation und Planung zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiterin über die Möglichkeiten der Fortführung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Mutterschutzfrist. Derzeit wäre eine rechtssichere und auch vor Kündigung sichernde Alternative zum Beschäftigungsverbot wegen Stillens beispielsweise die Inanspruchnahme von Elternzeit durch die Mitarbeiterin, wenn diese ggf. sowieso beabsichtigt, in der ersten Zeit mit dem Kind sich ausschließlich der Erziehung und Betreuung des Kindes widmen zu wollen. Da dies im Vergleich zum Beschäftigungsverbot mit deutlichen finanziellen Einbußen für die Mutter verbunden ist, ist es nachvollziehbar, dass über die angemessene Dauer der Stillzeit im Anschluss an die Zeit des Mutterschutzes verschiedene Vorstellungen herrschen. Beachtet werden muss dabei immer die Intention des MuSchG, das den Schutz der werdenden und stillenden Mutter, aber auch einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und angestellten Mitarbeiterinnen in den Mittelpunkt stellt.
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