SELBSTMANAGEMENT: Selbständigkeit und Familie unter einem Hut


Zum Thema „Beruf & Familie“ ergab sich ein interessanter Kontakt zu einer Zahnärztin in der Schweiz, Dr. med. dent. & MMed. Sandra Fatori. Geboren in Essen. Abitur in den USA. Studium in Belgrad und Köln und Jena, Approbation in Weimar. Eröffnung einer eigenen Praxis in Zürich im Jahr 2007. Abschluss der humanmedizinischen Ausbildung 2013. Gründung der Praxis „Dentalsisters“ in Zürich und Oberhausen im Jahr 2015. Sie ist verheiratet und Mutter eines Sohnes. Dr. Fatori ist auch als Autorin tätig, nicht nur für fachliche Themen. Ihr liegt es am Herzen, die Solidarität zwischen Zahnärztinnen zu fördern, die Rahmenbedingungen für Beruf und Familie zu verbessern und geschlechterbezogene Störfaktoren abzubauen.

Wir haben sie gefragt, ob sie ihre eigenen Erfahrungen im Spagat zwischen Praxis und Mutterschaft zusammenstellen und daraus auch nüchtern und pragmatisch Tipps für die Kolleginnen ableiten könnte. Dies hat sie gern übernommen – wir stellen ihre Erfahrungen, Meinungen und Empfehlungen hiermit zur Diskussion (Lesermails an: info@b2k4hzyd.myraidbox.de).

 

Selbständigkeit und Familie

Bildquelle: Fotolia/Patrizia Tilly

Diejenigen Kolleginnen, die sich entscheiden, ihren Beruf für die Familie aufzugeben oder nur in Teilzeit im Angestelltenverhältnis zu arbeiten, sollten sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, sich selbständig machen zu müssen. Mein Respekt gilt gleicherweise den Kolleginnen, die ihre Erfüllung in der Kombination aus Beruf und Familie sehen sowie den Kolleginnen, die Vollzeit zu Hause bleiben, und nicht zuletzt denen, die ganz auf Familie verzichten wollen oder müssen. Solidarität und Verständnis füreinander: Das ist, was uns Frauen oft untereinander fehlt. Die meiste Kritik erhält eine berufstätige Frau nicht von Männern, sondern von Frauen, die das klassische Rollenmodell bevorzugen. Den Stiefel der Rabenmutter müssen Sie sich gar nicht erst anziehen – mehr dazu gleich.

 

Es geht in Politik und Alltag und bei den Rahmenbedingungen immer wieder auch um geschlechterbezogene Aspekte. Fangen wir gleich einmal an damit: Wenn Sie sich einen Piloten vorstellen, denken Sie wahrscheinlich an einen Mann im Cockpit. Und sind dann hoch erstaunt, wenn bei der Ansage eine weibliche Stimme aus dem Cockpit ertönt. Auch die Zahnmedizin war (statistisch gesehen) bisher überwiegend ein männlicher Beruf. Nach einer Erhebung des Instituts der Deutschen Zahnärzte aus dem Jahr 2010 wird der „Gender Switch“ zwischen weiblichen und männlichen Zahnärzten im Jahr 2017 vollzogen sein. Spätestens ab dann liegt die zahnmedizinische Versorgung zum Großteil in der Hand der Zahnärztinnen. Als direkte Konsequenz werden berufspolitische Maßnahmen notwendig sein, um den damit verbundenen Veränderungen für den Berufsstand und das Gesundheitssystem zu begegnen 2).

Es erstaunt also nicht, dass immer mehr Frauenorganisationen, Berufsverbände und Fachzeitschriften diese Thematik aufgreifen und sich damit auseinandersetzen. Seltsamerweise belächeln gerade Männer solche Organisationen: Jahrhundertelang gab es (und mancherorts gibt es bis heute) reine Männerclubs (Rotary Club, Lions Club etc.), wo hinter verschlossenen Türen nicht zuletzt auch die Stellung der Frau in Gesellschaft und Beruf strikt unter Männern diskutiert wurde. Warum solche „Clubs“ nicht auch bei den Frauen zum Alltag gehören sollten, kann aus meiner Sicht nicht nachvollzogen werden.

 

In der Diskussion zur Genderpolitik geht es hauptsächlich darum, wie Frauen die ständige Doppelbelastung meistern sollen, wenn die politischen Rahmenbedingungen nicht passend oder eben von Männern nach deren Sichtweise vorgegeben sind. Die Vorstellungen und Interessen divergieren durchaus.

Im Kern zeigt die Studie des Instituts der Deutschen Zahnärzte aus dem Jahr 2010 die Unzufriedenheit der Kolleginnen im Bereich der Kinderbetreuung, die durch einen Mangel an entsprechenden Betreuungseinrichtungen ausgelöst wird, sowie deren zeitliche Unflexibilität. Die Doppelbelastung von Beruf und Familie wird von den meisten Teilnehmerinnen der Studie als besonders stark empfunden. In einer kürzlich durchgeführten EU-weiten Studie wurde deutlich, dass europaweit Frauen trotz voller Berufstätigkeit ebenfalls einen Großteil der Hausarbeit übernehmen. Geht man aber wiederum von einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2013 aus, muss man fairerweise auch betonen, dass es nicht die Frauen allein sind, die für Zeit mit der Familie eine Reduktion des Arbeitspensums in Kauf nehmen würden. Immer mehr Männer wünschen sich auch mehr Zeit für Familie und Kinder und sind bereit, ihren Anteil der Arbeit im Haushalt zu übernehmen. Gemäß Dachverband der Männer- und Väterorganisationen in der Schweiz macht einen guten Vater aus, dass er „eine vertrauensvolle Bezugsperson ist, die für das Kind spürbar in der Lage ist, seine Bedürfnisse wahrzunehmen“ 3,4).

Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik aus dem Jahr 2010 zeigen jedoch, dass Wunsch und Wirklichkeit kaum vereinbar sind: Während 57 % der Mütter mit dem jüngsten Kind unter sieben Jahren Teilzeit arbeiten, sind es bei den Vätern nur 8 %. Das am häufigsten gewählte Erwerbsmodell entspricht somit der traditionellen Rollenverteilung.

 

Praktische Tipps und Erkenntnisse zur Organisation von Familie und Berufung

 

Solche Entwicklungen machen natürlich vor der Zahnarztpraxis nicht Halt. Und nicht vor der eigenen Entscheidung hinsichtlich Beruf und Familie, oder „Beruf“ oder „Familie“ pur. Als erstes, das wäre meine Anregung, muss sich die junge Zahnärztin entscheiden, welche Werte sie Ihren Kindern in der Erziehung vermitteln möchte und ob sie es grundsätzlich befürwortet, sich selber auch verwirklichen zu wollen. Beantwortet sie dies mit „ja“, sollte sie das Gerede anderer Mütter, die sie als „Rabenmutter“ bezeichnen, ignorieren. Hat sie ihren Entschluss dieserart gefasst, so gibt es einige Tipps, die zum Ziel führen:

 

  • Network, Network, Network

Bauen Sie sich ein großes Netzwerk auf und fragen Sie aktiv nach Hilfe. Sollten Sie das Glück haben, Eltern oder Schwiegereltern mit Zeitpotential im selben Land und sogar in derselben Stadt zu haben, dann haben Sie schon die „halbe Miete“. Ohne die Möglichkeit, auf hilfsbereite Verwandte zurückgreifen zu können – so wie in meinem Fall etwa – bleiben Ihnen für die konstante Betreuung nur private Ganztagskindergärten, Kindermädchen und Praktikantinnen aus z. B. einer Krippe, die sich über die Praxis anstellen lassen, als Lösung. Eine weitere Alternative wären andere Mütter, die nicht arbeiten und Ihr Kind bei sich tagsüber aufnehmen (Tagesmütter). Anmerkung: In der Schweiz endet der Mutterschaftsurlaub nach 14 Wochen, egal ob selbständig oder angestellt.

 

  • SELBST und STÄNDIG

Bedenken Sie, dass es meist in jungen Jahren (zwischen 27 und 30) viel einfacher ist, sich selbständig zu machen, als mit zunehmendem Alter. In der Anfangsphase der Umsetzung Ihres Wunsches nach Selbständigkeit werden Sie unumgänglich SELBST und STÄNDIG tätig sein. Spätestens in 3 bis 4 Jahren haben Sie aber viel mehr Freiheiten, als wenn Sie im Angestelltenverhältnis verbleiben würden. Dies zeigt sich vor allem in der Urlaubs- und Familienplanung. In jungen Jahren ist man in der Regel risikofreudiger, ausdauernder und reagiert auf etwaigen Schlafmangel nicht so empfindlich. Eigentlich perfekt für die Existenzgründung!

 

  • Tagesappartement

Achten Sie bei einer Praxiseröffnung darauf, dass Sie ein „Tagesappartement“ im Praxisbereich/-Umfeld planen, welches Sie tagsüber als Büro nutzen können. Während sie zahnärztlich arbeiten, kann sich die Nanny oder Praktikantin gleichzeitig mit dem Kind in diesem Tagesappartement aufhalten, Nahrung zubereiten, Spaziergänge starten oder das Kind baden. Dies stört nicht, da Sie zwischen den Patienten sowieso immer wieder zurück in Ihr Tagesbüro gehen. So sehen Sie ihr Kind mehrere Male am Tag. Das Tagesappartement nutze ich auch weiterhin als mein Büro, aber eben auch als ruhigen Rückzugsort für das Mittagessen oder für einen Mittagsschlaf, obwohl unser Kind schon 9 Jahre alt ist.

 

  • Branchengleiche Duos

Ein wichtiger Aspekt ist die Partnerwahl. Nicht nur die berufliche. Die hier vertretene Position könnte etwas provokativ aufgefasst werden, entspricht nach diversen und wohl zumeist ehrlichen Gesprächen aber den Meinungen der befragten Kolleginnen. Wenn Sie sich nicht nur als Mutter, sondern auch als Zahnärztin verwirklichen möchten, sind Sie den Erfahrungen vieler Kolleginnen zufolge in einer branchengleichen Partnerschaft meist benachteiligt. Zumindest in den ersten Jahren. Immer noch steigen meist die Ehefrauen bzw. Partnerinnen für mehrere Jahre aus dem Berufsalltag der Praxis aus, um sich um die Kinder zu kümmern. Beginnt die Frau dann nach längerer Erziehungspause nur in Teilzeit zu arbeiten, wird es für sie sehr schwer sein, die Erfahrungen als Zahnärztin aufzuholen und auch vollen Respekt für die Führungsrolle wiederzuerlangen. Aufgewachsen in einer zahnärztlichen Familie und umringt von diversen Zahnarztpärchen im Bekanntenkreis, ist der oben beschriebene Ablauf meiner eigenen Erfahrung zufolge leider meist die Regel.

 

  • Branchenfremde Duos

Vielleicht ebenfalls ein provokanter Ansatz, zumal sehr pragmatische Aspekte hier hineinspielen: Mit einem Partner beispielweise aus der Wirtschafts- oder Jurabranche lässt sich ein paargeführtes kleines und mittleres Unternehmen (KMU) aufgleisen und lukrativ betreiben, da sich beide in fachlich entgegengesetzten Bereichen ergänzen. Das könnte auch für Zahnarztpraxen reizvoll sein, wenn sich beide mit ihrer eigenen Expertise in die Praxis einbringen. Branchenfremde Führungsduos können vorhandene Synergien betriebswirksam nutzen – Expertise, die branchengleiche Duos nur über externes Personal einkaufen können. Eine solche „positive Konstellation“ vereinfacht auch die Kinderbetreuung, da beide Partner den gleichen Arbeitsrhythmus haben. Beispielsweise kann der Partner vom Home-Office aus arbeiten, wenn die technischen Voraussetzungen für die digitale Kommunikation mit der Praxis gegeben sind (Zugang zur praxisinternen Software, Server, Mail, usw.). Niemand sonst wird Ihnen die Buchhaltung und das Mahnwesen für Ihre gemeinsame Praxis so akribisch führen und dabei die Mitarbeiter nach den gegebenen Auflagen kontrollieren und führen wie der eigene Partner mit einem wirtschaftlichen Ausbildungshintergrund. Die Firma „Dampsoft“ veröffentlichte ihre Umfrageergebnisse zum Thema „Zeitaufwand Zahnarzt“: Es wurde der Zeitaufwand des Zahnarztes pro Woche in Stunden ermittelt. Dabei entfielen nur 25 Wochenstunden auf die reine Behandlungstätigkeit am Patienten und 20 Wochenstunden auf nicht behandelnde Tätigkeiten (z. B. Praxisorganisation, Beratungsgespräche usw.)4). Es leuchtet ein, dass sich der Umsatz quasi verdoppeln lässt, wenn Sie von Ihrem qualifizierten Partner „Rückendeckung“ erhalten. Wichtig dabei ist, vorab Regeln aufzustellen, wie der Notfallplan funktioniert, wenn z. B. die Kinder krank werden, ein Feuer in der Praxis ausbricht, es Streit gibt oder sogar die Ehe scheitern sollte. Je detaillierter man sich schriftlich Gedanken über die möglichen „Schreckensszenarien“ macht, desto leichter geht man mit Krisensituationen um. Auch Verträge mit Gütertrennung sind möglich, aber nicht zwingend notwendig. ((Anm. der Redaktion: In Deutschland wird insbesondere die sogenannte „modifizierte Gütergemeinschaft empfohlen.))

 

  • Danke!

Vergessen Sie bitte nie, sich im Privaten wie auch im Geschäftlichen aufrichtig zu bedanken, wenn Sie Hilfe oder einen guten Rat erhalten haben. Sich dankbar zu zeigen, ist ein Zeichen der Wertschätzung und dass Sie die Hilfe nicht als Selbstverständlichkeit ansehen. Diese alte Regel wird leider immer wieder vergessen oder als gar unnötig erachtet.

 

  • 8-Stunden-Regel

Nehmen Sie sich Freiräume für sich selber, denn nur so können Sie eine ausgeglichene Zahnärztin sein, und wenn Sie Kinder haben, eine glückliche und geduldige Mutter, und wenn Sie verheiratet sind, eine einfühlsame Ehefrau. Funktionieren Sie wie ein Roboter und stellen Ihre ganz persönlichen Bedürfnisse grundsätzlich hinten an, weil dies die Gesellschaft von der modernen Frau als Mutter und Geschäftsfrau – in meinem Fall als Zahnärztin und Ärztin – erwartet, werden Sie mittel- und bestimmt langfristig seelisch und körperlich ausbrennen und kläglich scheitern. Wenn Sie aber die 8-Stunden-Regel befolgen, sind Sie auf gutem Weg. Achten Sie darauf, 8 Stunden zu arbeiten, 8 Stunden zu schlafen und 8 Stunden in Ihr Privat- und Sozialleben zu investieren. Dies funktioniert logischerweise nicht statisch und auch nicht jeden Tag gleich, insbesondere wenn die Kinder noch klein sind. Während dieser sehr anstrengenden Zeit werden Sie froh sein, wenn Sie überhaupt noch Schlaf finden. Aber langfristig gesehen kann Ihnen diese Regel helfen zu entdecken, wo Sie zu viel Energie investieren und über Ihren persönlichen Horizont hinausleben.

 

Resümee

 

Eine beruflich ausgefüllte Selbstständigkeit in einer erfolgreichen Zahnarztpraxis und die Kindererziehung mit allen Herausforderungen an Sie als Mutter schließen sich nicht aus – wenn Sie Ihren Tag klar strukturieren und organisieren. Man darf sich auch helfen lassen! Und diese Hilfe sollten Sie dankend annehmen. Die Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen, sind quasi unbegrenzt, wenn Sie damit angefangen haben, sich darüber Gedanken zu machen. Sie werden sich jeden Tag besser in Ihren Aufgaben und Verpflichtungen zurechtfinden.

Das Allerwichtigste, was mich meine Erfahrungen in der Vergangenheit gelehrt haben, bleibt jedoch: Hören Sie auf Ihr Herz und Ihre innere Stimme, denn nur wer authentisch und ehrlich mit der Umwelt und mit sich selber umgeht, kann die Ruhe, das Glück und die Erfüllung für sich und seine Familie finden. Denn nur eine glückliche und zufriedene Frau kann eine gute Zahnärztin, Mutter und Partnerin sein. Und die beste Vertreterin ihrer eigenen Interessen und Bedürfnisse.

 

Literatur

  1. Dohlus B. Spannend für die Zahnmedizin: Immer mehr Zahnärztinnen und was sie verändern. DZZ 2008;63:590–595.
  2. Gösling J. Zahnärztinnen benennen Handlungsbedarf. ZM Online Juni 2016. http://www.zm-online.de/hefte/Zahnaerztinnen benennen Handlungsbedarf_176367.html.
  3. Warum arbeiten so wenige Männer Teilzeit? NZZ online 10.3.2014, http://www.nzz.ch/schweiz/warum-arbeiten-so-wenig-maenner-teilzeit-1.18259267.
  4. Henrici C. Wer braucht schon gutes Personal. Erfolgreich führen in der Zahnarztpraxis. Berlin: Quintessenz Verlag, 2012:29.

Die zitierte IDZ-Studie: „Rollenverständnisse von Zahnärztinnen und Zahnärzten in Deutschland zur eigenen Berufsausübung“ / Ergebnisse einer bundesweiten Befragungsstudie / Veröffentlichung: 26.02.2010

 

 

 

 

Sandra Fatori

Dr. MMed (UZH)

Dentalsisters Schweiz

c/o Zahnärzte Wiedikon

Zentralstrasse 2

8003 Zürich

www.dentalsisters.com