AUSZEICHNUNG: Hirschfeld-Tiburtius-Preis 2020/2021


Ausgezeichnete Arbeit beleuchtet Motivation Zahnmedizinstudierender

Der Dentista e.V. – Verband der ZahnÄrztinnen verleiht alle zwei Jahre den mit 1.000 Euro dotierten Hirschfeld-Tiburtius-Preis. Damit ehrt der Verband Hirschfeld-Tiburtius´ Lebenswerk – und honoriert herausragende Leistungen von Frauen in der Zahnmedizin. Zwar musste die Preisverleihung im Jahr 2020 ausfallen, eine Gewinnerin gibt es jedoch trotzdem. Nun konnte Dr. Sandra Tanyeri aus Kempten die Auszeichnung entgegennehmen.

Preisträgerin Dr. Tanyeri und ihre Doktormutter Prof. Dr. Geibel

Was treibt die Zahnarztgeneration 2.0 an?

Unter so vielen Einsendungen wie noch nie entschied sich die Jury für Dr. Tanyeris Arbeit. Die Auszeichnung erhält die angestellte Zahnärztin aus Kempten für ihren im „European Journal of Dental Education“ veröffentlichten Artikel „Country and Gender differences in the motivation of dental students -an international comparison“. Diese Arbeit beleuchtet die Motivation, die Studierende im Zahnmedizinstudium antreibt. „Auf den Punkt gebracht geht es um die Fragestellung: Was treibt die Zahnarztgeneration 2.0 an?“, sagt Tanyeri im persönlichen Gespräch. Der Artikel basiert auf Tanyeris Dissertation „Gender Dentistry: International vergleichende Studie zu Karrierewahl und Spezialisierungswünschen von Zahnmedizinstudenten“, die sie 2018 bei Prof. Dr. Margrit-Ann Geibel, Univeristätsklinikum Ulm, vorlegte.

Was motiviert die Studentinnen und Studenten der Zahnmedizin also, was wünschen sie sich für ihre berufliche Laufbahn – und gibt es dabei signifikante Unterschiede hinsichtlich des Herkunftslands und des Geschlechts?

Wissenschaftliche Herangehensweise

Diesen spannenden Fragestellungen ging Dr. Tanyeri mithilfe eines standardisierten Fragebogens nach. Sie wertete die Antworten von Studierenden zwischen 21 und 25 Jahren an fünf Universitäten in Deutschland, Finnland und der Türkei aus. Dabei waren 63 Prozent der 469 Befragten Frauen, die restlichen 37 Prozent Männer. Tanyeri spiegelte so das Verhältnis der Geschlechterverteilung in der Zahnmedizin wider (Stand: 2014).

Wieso eigentlich Zahnmedizin?

Welches Ergebnis Tanyeri bei der Auswertung der Fragebögen besonders überrascht hat? „Die Befragung ergab, dass 49,5 Prozent das Zahnmedizin-Studium aus Eigenmotivation beginnen, und nicht etwa, weil der Papa auch Zahnarzt ist.“ Damit wäre eines der größeren Klischees in der Zahnmedizin (fast) ausgehebelt. Dabei spielt es für deutsche Studierende im Vergleich eine deutlich wichtigere Rolle (33,8 %), wenn Freunde oder Familie in der Zahnmedizin arbeiten, insgesamt gaben diesen Beweggrund, das Zahnmedizinstudium zu beginnen, nur 23,4 Prozent der Teilnehmer an.

Wie darf`s denn sein, das Arbeitsleben?

Und was reizt die jungen Frauen und Männer daran, später als Zahnmediziner zu arbeiten? Im Fragebogen konnten sie verschiedene Aspekte des Berufs nach Wichtigkeit bewerten. Besonders wichtig – und zwar in allen Ländern: die Möglichkeit, anderen zu helfen, Selbstständigkeit, Verdienstmöglichkeiten, mit den Händen zu arbeiten sowie Status und Prestige. Auch Zeitmanagement und die Vielfalt an Karrieremöglichkeiten spielt eine eher wichtige Rolle.

Die kleinen, großen Unterschiede

Deutliche Unterschiede ergaben sich jedoch in der genderspezifischen Auswertung: Während für Männer finanzielle Aspekte und die Selbstständigkeit als Zahnarzt im Vordergrund standen, bewerteten die meisten Frauen das Motiv „anderen zu helfen“ als besonders wichtig – und das autonome „Zeitmanagement“. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt für angehende Zahnärztinnen – und zwar unabhängig von Herkunftsland und kultureller Prägung – eine bedeutende Rolle. „Wir müssen in der Zahnmedizin unbedingt die Rahmenbedingungen schaffen, dass Frauen ihrem Beruf nachgehen und auch ihre Familie versorgen können“, sagt Sandra Tanyeri. Beispielsweise indem Schicht- und Teilzeitmodelle überarbeitet oder neu gedacht werden.

Weites Forschungsfeld

Wie wichtig Studien wie die Doktorarbeit von Tanyeri für die Gender Dentistry und die Zahnmedizin im Allgemeinen seien, unterstrich Prof. Dr. Margrit-Ann Geibel, die die Arbeit wissenschaftlich betreut hat. „In Doktorarbeiten gibt es selten so viele signifikante Antworten und Ansätze für weitere Forschungen“, sagt sie. Es wäre zu begrüßen, das Thema im Rahmen einer Doktorandenbetreuung auf Grundlage von Sandra Tanyeris Arbeit fortzuführen.

Ansatzpunkte hierfür gäbe es genug, schließlich steigt der Anteil der Frauen in der seit Jahren kontinuierlich an. Wer Motivationen beleuchtet, kann daraus Lösungen für eine Veränderung von Rahmenbedingungen bieten – vom Studium bis zur Praxisführung. „Wir sind auf einem guten Weg, aber es muss noch viel getan werden. Davon werden am Ende alle profitieren, Männer wie Frauen, Zahnmediziner wie auch Patienten“, sagt Dr. Sandra Tanyeri. Da schließen wir uns der Hirschfeld-Tiburtius-Preisträgerin 2020/21 gerne an!

Der Dentista e.V. gratuliert Dr. Sandra Tanyeri herzlich zum Hirschfeld-Tiburtius-Preis.

Alle zwei Jahre verleiht der Dentista e.V. – Verband der ZahnÄrztinnen den Hirschfeld-Tiburtius-Preis. Ausgezeichnet werden Publikationen, die sich fundiert mit dem Geschlechter-Shift im Berufsstand und den daraus resultierenden Veränderungen befassen. Der Verband erinnert damit an Henriette Hirschfeld-Tiburtius (1834-1911), eine der wichtigsten Pionierinnen der Zahnmedizin. Als zweite Frau überhaupt erwarb sie zunächst einen Abschluss am „Pennsylvania College of Dental Surgery“ und eröffnete die erste von einer Frau geführte Zahnarztpraxis in Deutschland. Durch ihr Können und ihren erstklassigen Ruf wurde sie schließlich die Hofärztin der Kronprinzessin Victoria. Zudem engagierte sich Hirschfeld-Tiburtius zeitlebens im sozialen Bereich.